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Übersichtsstudie des AWI zu Kunststoffabfällen in der Arktis

Obwohl die Arktis nur sehr gering besiedelt ist, finden sich laut einer internationalen Übersichtstudie des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) dort ähnlich viele Kunststoffabfälle wie in anderen Regionen der Welt. Die Studie ist im Fachmagazin „Nature Reviews and Environment Research“ erschienen. Die Forschungsergebnisse zeigen laut Bericht, dass Kunststoffabfälle zum Beispiel über Flüsse, die Luft und Schiffe ins Meer und in die Arktis eingetragen werden. Vor allem die Schifffahrt stellt eine wichtige Eintragsquelle dar. Das Wasser der Arktis, der Meeresboden, Strände, Flüsse sowie Eis und Schnee sind laut der Untersuchung durch Mikroplastik zunehmend belastet.

 

Für die Übersicht hat das AWI-Team um Meeresbiologin Melanie Bergmann gemeinsam mit Forschenden aus Norwegen, Kanada und den Niederlanden insgesamt 198 Quellen aus der Datenbank Litterbase ausgewertet und zusammengefasst. Dabei handele es sich um Studien, Felduntersuchungen und Modelle zu Vorkommen, Einträgen und Auswirkungen von Kunststoffabfällen in der Arktisregion. Neu sei die breite, pan-arktische Sichtweise der Übersichtstudie, die über frühere Forschungsansätze hinausgehe. In dem Bericht werden Quellen, Verbreitung und Folgen der Belastung durch Kunststoffabfälle einschließlich Mikroplastik beschrieben. Der Report identifiziert auch Wissenslücken sowie weiteren Forschungsbedarf und beschreibt Maßnahmen, wie die arktische Verschmutzung durch Kunststoffabfälle bekämpft werden kann.

 

Lokale und weit entfernte Eintragsquellen

Hinsichtlich der Eintragsquellen unterscheiden die Autorinnen und Autoren der Studie zwischen land- und seebasierten Quellen lokalen und weiter entfernten Ursprungs. Ihre Analyse zu den Eintragspfaden stützen sie auf Daten aus 36 wissenschaftlichen Studien aus der Datenbank Litterbase. Die meisten Modellsimulationen und Daten weisen der Studie zufolge darauf hin, dass ein erheblicher Anteil der Kunststoffeinträge über den Nordatlantik und den Nordpazifik in die Arktis gelangt. Ein Teil der Verschmutzung ist laut den Referenzstudien auf Abfälle zurückzuführen, die aus der lokalen Fischerei, von Mülldeponien, aus Abwässern und industriellen Offshore-Aktivitäten stammen. Aber auch weit entfernte Regionen werden als wesentliche Quelle aufgeführt: So wird Mikroplastik beispielsweise über die Luft in die Region transportiert. Auch gelangen viele Kunststoffabfälle wohl über Flüsse sowie durch Meeresströmungen aus niedrigeren Breiten in die Arktis. Laut der Untersuchung „The widespread environmental footprint of indigo denim microfibers from blue jeans“ fanden Kerstin Athey und ihr Forschungsteam  zum Beispiel im Jahr 2020 rund 1.930 Fasern pro Kilogramm Trockengewicht in Sedimenten der kanadischen Arktis. Diese laut den Wissenschaftlern beträchtliche Menge an Mikroplastikpartikeln führen sie auf Einträge aus weiter südlich eingeleiteten Abwässern der Textilindustrie zurück.

Mikroplastik könne aber auch zum Teil aus lokalen Quellen stammen, wie die Untersuchung „Microlitter in sewage treatment systems: A Nordic perspective on waste water treatment plants as pathways for microscopic anthropogenic particles to marine systems" einer dänischen Forschungsgruppe aus dem Jahr 2016 zeige: Sie untersuchte die Emissionen einer Kläranlage im isländischen Reykjavik. Pro Stunde sechs Millionen Mikroplastikteilchen, circa 1.500 Partikel pro Kubikmeter, seien dort in den Ozean gelangt. Weitere potenzielle lokale Quellen für Mikroplastik in der Arktis sind laut dem AWI-Forscherteam auch Partikel, die von Schiffsanstrichen herrühren und von Fahrzeugen, die auf dem Eis eingesetzt werden. Auch von Abwasser aus der Schifffahrt, dem sogenanntem Grauwasser, das vermehrt durch den zunehmenden Tourismus und die damit steigende Zahl von Schiffen im Ozean freigesetzt wird, können laut Studie Mikroplastik-Einträge stammen. Als weitere wichtige lokale Quelle von Kunststoffabfällen identifiziert die Studie Plastikmüll aus Haushalten. Da die aufgefundenen Gegenstände wie Plastiktüten oder Flaschen auch auf Schiffen verwendet werden, konnten die Forschenden solche Kunststoffabfälle aber nicht eindeutig landbasierten oder meeresbasierten Quellen zuordnen.

 

Belastung durch Makro- und Mikroplastik

Die verfügbaren Daten zeigen laut der Überblicksstudie, dass Mikroplastik mit bis zu 1.287 Stück pro Kubikmeter und Kunststoffabfälle mit bis zu 7,97 Stück pro Quadratkilometer in den arktischen Oberflächengewässern weit verbreitet sind. Auch das arktische Meereis weist laut den in der Studie referenzierten Quellen eine hohe Mikroplastikbelastung auf, nämlich 31,75 bis 12.000.000 Partikel pro Kubikmeter. Die Daten deuten darauf hin, dass Kunststoffabfälle durch das Driften von Meereis weitertransportiert werden und sich so in der Region verteilen können: Mikroplastik von der Meeresoberfläche wird im Eis eingeschlossen. Im Frühjahr und Sommer bricht das Meereis auf und das Mikroplastik gelangt mit den Eisschollen in wärmere Gefilde, wo das Eis schmilzt und die Kunststoffpartikel an das Wasser abgibt. Auch auf dem Meeresboden ließ sich laut den berücksichtigten Untersuchungen Makro- und Mikroplastik nachweisen: Die Anzahl an größeren Kunststoffpartikeln auf dem Meeresboden schwankt demnach zwischen 0 und 24.500 Stück pro Quadratkilometer und hat zum Beispiel von 2004 bis 2017 in der Tiefsee der Framstraße zwischen Spitzbergen und dem Nordosten Grönlands von 813 auf 5.970 Stück pro Quadratkilometer zugenommen. Die Mikroplastikkonzentration in der arktischen Tiefsee liegt laut den ausgewerteten Referenzstudien bei bis zu 16.041 Partikeln pro Kilogramm Sediment und gehört damit zu den höchsten gemessenen Konzentrationen weltweit. Der Bericht weist aber auch darauf hin, dass die in den verschiedenen Studien verwendeten Probenahme- und Analysemethoden zum Teil große Unterschiede aufweisen, da es derzeit nur wenige standardisierte oder harmonisierte Verfahren gibt. So könnten beispielsweise unterschiedliche Größen-Nachweisgrenzen für Mikroplastikpartikel in den verschiedenen Studien zu teilweise sehr unterschiedlichen Messergebnissen geführt haben.

 

Auswirkungen auf Ökosysteme und Klima

Die Auswirkungen der Umweltverschmutzung durch Kunststoffabfälle auf arktische Organismen sind der AWI-Studie zufolge noch nicht ausreichend erforscht. Sie werden aber als ähnlich gravierend angenommen wie in besser untersuchten Regionen. Wenn arktische Lebewesen Mikroplastik fressen, könne das ähnliche Folgen haben wie für Organismen in anderen Teilen der Welt, so etwa verringertes Wachstum oder eingeschränkte Fortpflanzung. Davon abgesehen könnten Kunststoffabfälle in der Arktis auch den Klimawandel beschleunigen, vermutet das Forscherteam. „Erste Studien liefern Indizien dafür, dass eingeschlossenes Mikroplastik die Eigenschaften von Meereis und Schnee verändert“, erklärt Meeresbiologin Bergmann. Dunkle Partikel im Eis könnten demnach dazu führen, dass mehr Sonnenlicht absorbiert wird und das Eis dadurch schneller schmilzt. Das wiederum könne die globale Erwärmung verstärken. Um die Freisetzung von Kunststoffabfällen in die Umwelt zu verringern, halten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Reduktion des weltweiten Aufkommens an Kunststoffabfällen durch verbindliche Zielvorgaben in internationalen Verträgen, ähnlich dem Pariser Abkommen, für erforderlich. Auch sollte ihrer Ansicht nach darüber hinaus neben einer verbesserten kommunalen Abfallsammlung und -bewirtschaftung für eine zirkuläre Verwendung von Kunststoffen und die Nutzung nachhaltiger Alternativen gesorgt werden.

 

Quellen:

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