Ökotoxikologische Untersuchungen zu den Auswirkungen von Mikroplastik auf die Gesundheit des Menschen und die Umwelt kommen bislang zu widersprüchlichen Ergebnissen. In einschlägigen Studien zu den Gesundheitsgefahren durch Mikroplastik werden Humangewebe wie Darmzellen oder marine Organismen wie Krebse und Miesmuscheln verschiedenen Mikroplastikpartikel-Konzentrationen ausgesetzt, um die Wechselwirkungen mit Zellgewebe zu erforschen. Diese Mikropartikel wurden vorab nach Kunststoffart, Form und Größe kategorisiert. Ihre chemisch-physikalischen Eigenschaften wurden bislang aber kaum berücksichtigt. Ein interdisziplinäres Forschungsteam der Universität Bayreuth um Prof. Dr. Christian Laforsch stellte nun fest, dass das handelsübliche Polystyrol, das in diesen Studien häufig verwendet wird, sich je nach Hersteller deutlich unterscheidet und unterschiedlich auf Zellgewebe wirkt. Verallgemeinernde Aussagen über gesundheitliche oder ökologische Gefahren durch Mikroplastik halten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daher für problematisch.
Die Forscherinnen und Forscher der Universität Bayreuth haben in ihrer Arbeit zunächst die Oberflächeneigenschaften und die chemische Zusammensetzung von Polystyrol-Partikeln untersucht, die häufig in Wirkungsstudien verwendet werden. Analysiert wurden handelsübliche, drei Mikrometer große Polystyrol-Kügelchen von zwei Herstellern. Je nach Bezugsquelle ergaben sich deutliche Unterschiede insbesondere in Bezug auf die Oberflächeneigenschaften und den Monomergehalt der Polystyrol-Partikel. Eine rasterelektronenmikroskopische Analyse (REM) zeigte laut Studie, dass sich die Oberflächenstrukturen der beiden Polystyrol-Sorten unterschieden (Foto). Zu sehen war, dass das Polystyrol von Hersteller 1 eine rauere Oberfläche aufweist als das des Herstellers 2. Zur Untersuchung der chemischen Zusammensetzung der beiden Polystyrol-Sorten kamen Magnetresonanz-, Röntgen- und chromatographische Verfahren zum Einsatz, die Unterschiede in der Oberflächenladung der Mikropartikel und dem Monomergehalt des Polymersergaben. Diese Unterschiede zwischen den Polystyrol-Kügelchen der beiden Hersteller führen die Forschenden auf verschiedene sogenannte Radikalinitiatoren zurück, die bei der Herstellung der Kunststoffe verwendet wurden, um den Prozess der Polymerisation in Gang zu setzen. Sowohl die Oberflächenstruktur als auch der Monomergehalt von Mikropartikeln könnten laut Studie die Interaktion mit Zellen verändern. Daher wurde auch untersucht, wie sich beide Partikel-Sorten auf den Stoffwechsel von Immunzellen auswirken. Nachdem die Immunzellen (Makrophagen von Mäusezelllinien) den beiden Partikeltypen ausgesetzt wurden, zeigten sich in der Stoffwechselaktivität und im Zellwachstum Unterschiede. Die Polystyrol-Sorte mit der raueren Oberflächenstruktur wies an der Oberfläche auch ein elektrisches Potenzial von etwa minus 80 Mikrovolt auf. Dieser Typ interagierte deutlicher mit dem Zellgewebe: Die Partikel waren teilweise komplett von Zellstrukturen umgeben, was laut Studie nachweislich den Zell-Stoffwechsel und das Wachstum störte. Die Partikel des anderen Herstellers waren nahezu ungeladen und dockten nur äußerlich an den Zellen an.
„Unsere Studie zeigt eindrucksvoll, wie problematisch es ist, verallgemeinernde Aussagen über gesundheitliche oder ökologische Auswirkungen von Mikroplastik machen zu wollen“, sagt Studienleiter Laforsch. Wenn gleich große Partikel des gleichen Kunststofftyps in der gleichen Form bei vertieften Analysen überraschende chemische und physikalische Unterschiede aufweisen und wenn sich diese Unterschiede auf Interaktionen mit lebenden Zellen auswirken, dann sei Vorsicht gegenüber voreiligen Schlussfolgerungen geboten, betont Laforsch. „Die Replizierbarkeit von Experimenten muss in der Mikroplastik-Forschung höchste Priorität haben – gerade wenn es um die Untersuchung gesundheitlicher Auswirkungen geht“, fügt Mitautorin Anja Ramsperger hinzu. „Mittlerweile gibt es zahlreiche toxikologische Studien, die den Auswirkungen von Mikroplastik auf lebende Organismen auf die Spur kommen wollen. Aber erst wenn wir die chemische Zusammensetzung und die Oberflächeneigenschaften der dabei verwendeten Partikel im Detail kennen, lassen sich diese Studien wissenschaftlich vergleichen. Nur auf dieser Basis wird es möglich sein, die Eigenschaften zu entschlüsseln, die bestimmte Arten von Mikroplastik für die Umwelt und den Menschen potenziell gefährlich machen“, unterstreicht Ramsperger.
Die Studienergebnisse des Teams von Prof. Laforsch stimmen im Ergebnis mit einer früheren Studie des Leibniz-Institutes IOW überein, bei der Mikroplastik anderer Polymerarten hinsichtlich des Verhaltens im Meerwasser untersucht wurden. Die Autoren, u.a. auch Dr. Ingo Sartorius als Co-Autor, empfehlen deshalb, zunächst ein genaues Verständnis über die zu untersuchenden Mikroplastikpartikel zu erlangen, nicht nur um Studien vergleichbar zu machen, sondern vor allem um überhaupt repräsentative Aussagen zu erhalten.
Weitere Information: zum pdf-Download der Studie „Supposedly identical microplastic particles substantially differ in their material properties influencing particle-cell interactions and cellular responses“
Quellen: