Interview mit Dr. Klaus Wittstock, BASF SE, zum UN Plastikabkommen: „Reduktion, Verbote oder Abgaben auf Kunststoffe sind nicht zielführend“
Dr. Klaus Wittstock ist Director Industry Affairs und Leiter Umweltpolitik beim global aufgestellten Chemiekonzern BASF und seit 28 Jahren in verschiedenen Funktionen für das Unternehmen tätig. Seit 2017 ist der promovierte Chemieingenieur Mitglied im Beirat der BKV GmbH, der er zuvor bereits über zehn Jahre als Sprecher des Technischen Ausschusses angehörte. Wir haben den Kunststoff-Experten nach seiner Einschätzung zu den Vorbereitungen für das weltweite Abkommen der Vereinten Nationen befragt, mit dem die Belastung der Umwelt durch unsachgemäß entsorgte Kunststoffabfälle eingedämmt werden soll.
Herr Dr. Wittstock, aktuell wird auf internationaler Ebene ein Entwurf für ein Abkommen der Vereinten Nationen vorbereitet, das nach der finalen Verhandlungsrunde in Südkorea bereits ab 2025 in Kraft treten könnte. Wie steht die Kunststoffindustrie zu den bisher vorgelegten Ideen für globale Regelungen, nach denen beispielsweise für die Neuproduktion von Kunststoffen eine Obergrenze eingeführt werden könnte?
Wir sehen in der Kunststoffindustrie tatsächlich Bestrebungen einer Gruppe von Stakeholdern, echte und vermeintliche Probleme mit Kunststoffen durch eine Begrenzung des Mengenwachstums in einem internationalen Abkommen zu Kunststoffen zu begegnen. Diese Herangehensweise betrachten wir kritisch, da sie die Komplexität der Herausforderungen verkennt und potenziell zu erheblichen Störungen und Spannungen führen könnte. Denn Kunststoffe bringen nicht nur Herausforderungen mit sich, sondern auch großen Nutzen, insbesondere im Zusammenhang mit der Erreichung der Klimaziele. Der Einsatz von Kunststoffen zur Dämmung von Häusern trägt dazu bei, Emissionen einzusparen, Elektroautos sind ohne den Einsatz von Kunststoffen nicht denkbar und auch als Verpackungsmaterial tragen Kunststoffe dazu bei, die Lebensmittelhaltbarkeit zu verlängern. Diese Beispiele von Kunststoffanwendungen unterstreichen die Notwendigkeit einer umfassenden Perspektive, die Kunststoffe über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg betrachtet -– von der Produktion über die Nutzenphase bis hin zum Ende des Lebenszyklus und somit der Rückführung in den Stoffkreislauf. Genau das sehen auch die bisherigen Entwürfe und Positionen der UNEP wie auch der allermeisten Stakeholder vor, dass man ganzheitliche Lösungsansätze braucht.
Wie sollte das Abkommen aus Sicht der Industrie ausgestaltet werden, um das Problem der Kunststoffabfälle in der Umwelt weltweit zu bekämpfen?
Aus unserer Sicht gibt es weitaus klügere Ansätze als bloße Verbote, die großen Herausforderungen im Kontext von Kunststoffen zu lösen. Kunststoffe werden heute noch überwiegend aus fossilen Rohstoffen hergestellt. Durch Nutzung zirkulärer Rohstoffe – Rezyklate aus mechanischem Recycling, Ersatz fossiler Rohstoffe durch chemisches Recycling, erneuerbarer Rohstoffe oder sogar CO2 – reduziert man die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen und trägt dabei gleichzeitig zum Klimaschutz bei. Auch die Vermüllung der Meere und Landschaften kann man intelligent angehen. In westlichen Ländern geht es um mehr Disziplin bei der Abfallsammlung. Im globalen Süden muss eine Abfall- und Recyclinginfrastruktur oft erst aufgebaut werden. Man darf hierbei auch nicht den sogenannten informellen Sektor vergessen. In vielen Entwicklungsländern sorgt gerade dieser dafür, dass überhaupt eine Entsorgung stattfindet. Das heißt, dass die 20 Millionen sogenannte Waste-Picker weltweit auch eine ganz wichtige Interessensgruppe in den UN-Verhandlungen darstellen. Ziel muss sein, diese Abfallsammler nicht von heute auf morgen durch industrialisierte Strukturen und Prozesse zu ersetzen, sondern sie einzubinden und faire, gut entlohnte und sicherheitskonforme Arbeitsbedingungen zu gewährleisten. Ganz entscheidend ist aber, dass gesammelten und händisch vorsortierten Kunststoffabfällen auch ein Abnehmermarkt gegenübersteht. Also ist der Aufbau einer Recyclinginfrastruktur – sei es mechanisches Recycling für sortenreine Thermoplasten oder chemisches Recycling für gemischte und verschmutzte Abfälle – durch Industrieunternehmen der Schlüssel, um sowohl die Sammlung als auch die Substitution fossiler Rohstoffe durch Recycling voranzubringen. Ein drittes Themenfeld, welches in Diskussionen immer wieder angesprochen wird, ist die Frage von Additiven, und wie und wo sie reguliert werden.
Hier hat die Kunststoffindustrie eine ganz klare Haltung: Chemikalienregulierung gehört nicht in das Kunststoffabkommen, denn das würde zu Doppelregulierung mit bereits vorhandenen länderspezifischen, regionalen (REACH) und globalen Chemikaliengesetzgebungen (wie Stockholm-, Basel-, Rotterdam-Konvention) führen. Zudem werden viele Chemikalien sowohl in Kunststoffen als auch in anderen Anwendungen verwendet, weshalb eine alleinige Betrachtung aus kunststoffspezifischer Perspektive zu kurz greifen würde.
Beim nächsten Treffen im November in Nairobi soll ein erster Vorschlag, der „Zero-Draft“, erarbeitet werden. Möglich ist der Entwurf eines generellen rechtlichen Rahmens, den die einzelnen Staaten dann mit ihren jeweiligen Umsetzungsmaßnahmen ausführen sollen. Was halten Sie für wahrscheinlich, was für wünschenswert?
Die verfahrenstechnisch spannendste Frage betrifft die Ausgestaltung des Zusammenspiels aus global bindenden Elementen und nationalen Elementen innerhalb des Abkommens. Hier haben ganz eindeutig erdölproduzierende Länder und Schwellenländer mit rasant wachsender Industrialisierung eine andere Position als reife Volkswirtschaften wie wir sie in der EU sehen. Dieses Spannungsfeld führte bei den letzten internationalen Verhandlungen in Paris Anfang Juni zu zwei Tagen juristischer Diskussion um das Abstimmungsprozedere, ob Einstimmigkeit erforderlich ist oder eine qualifizierte Mehrheit entscheiden kann. Es ist schwer vorstellbar, dass eine Zwei-Drittel-Mehrheit drastische Einschränkungen im Kunststoffverbrauch gegen den Willen bevölkerungsreicher Nationen wie Indien oder China durchsetzen kann. Insofern erwarte ich einen ausgewogenen Kompromiss. Nationale oder EU-weite Regelungen können natürlich auch immer über die harmonisierten globalen Vorgaben hinausgehen. Wichtig ist aber, ein zu weiches Abkommen zu verhindern, das Ländern erlaubt durch langfristig angelegte Aktionspläne ohne konkrete Maßnahmen das Ziel eines verstärkten Umwelt- und Klimaschutzes unerreichbar werden zu lassen.
Herr Dr. Wittstock, vielen Dank für das Interview!
(September 2023)