Interview: „Mikroplastik ist auch in unseren Seen angekommen“
Udo Gattenlöhner ist Agrarwissenschaftler und Geschäftsführer des Global Nature Fund (GNF), einer 1998 gegründeten gemeinnützigen Stiftung für Umwelt und Natur mit Hauptsitz in Radolfzell am Bodensee. Die Stiftung koordiniert unter anderem das internationale Netzwerk Living Lakes, das 135 Mitglieds-Seen hat und sich weltweit für den Schutz von Seen und Gewässern einsetzt. Der Global Nature Fund (GNF) hat gemeinsam mit der Bodensee-Stiftung und mehreren italienischen Partnern das Projekt „BLUE LAKES“ ins Leben gerufen. Das Projekt wird unter anderem von den Kunststofferzeugern bei PlasticsEurope aktiv unterstützt. Schwerpunkte des Vorhabens sind die Vermeidung und Verringerung des Eintrags von Mikroplastik in Seen (s. dazu den Bericht „Projekt „LIFE BLUE LAKES“ bekämpft Mikroplastik in Seen“).
Herr Gattenlöhner, das Projekt „Blue Lakes“ startete im Jahr 2019. Was ist aus Ihrer Sicht das Besondere an dem Projekt? Welche wesentlichen Ergebnisse konnten bislang erreicht werden?
Mikroplastikverschmutzung war in der Öffentlichkeit bisher eher im Kontext von Ozeanen präsent. Das Problem ist aber auch in unseren Seen angekommen. Blue Lakes trägt - neben weiteren wissenschaftlich ausgerichteten Projekten (wie „Limnoplast“) - dazu bei, dass die zentralen Zielgruppen (Kommunen, relevante Branchen und Verbraucher*innen) in einem dialogorientierten Ansatz angesprochen und sensibilisiert werden.
Wie gut funktioniert die länderübergreifende Kooperation und könnte sie beispielhaft für weitere solche Projekte sein? Gibt es länderspezifische Unterschiede in der Herangehensweise?
Der Global Nature Fund (GNF) arbeitet in allen seinen Projekten in länderübergreifenden Partnerschaften. Die Erfahrungen der italienischen (wissenschaftlichen) Partnerinstitutionen haben eine hohe Relevanz für alle EU-Länder und sind weitestgehend übertragbar. Länderübergreifende Projekte wirken sich positiv auf die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen auf EU-Ebene und dadurch letztlich auf alle Länder aus.
Wird das Seenpapier mit Handlungsempfehlungen für Kommunen zur Reduktion von Mikroplastik bereits in der Praxis genutzt?
Das Seenpapier besteht aus einer freiwilligen Selbstverpflichtung und einer Matrix mit einem Katalog konkreter Maßnahmen, die sich als eine effiziente Umsetzungshilfe für Kommunen bei der Reduzierung und Vermeidung von Plastikmüll und Mikroplastik versteht. Das 5-R-Prinzip zur Müllvermeidung (Rethink, Refuse, Reduce, Reuse/Repair Recyle) wird bereits von vielen Kommunen angewandt. Die Selbstverpflichtung soll bis Projektende von 20 Gemeinden unterzeichnet werden.
Was müsste auf Basis Ihrer Erfahrungen mit dem Projekt vordringlich geschehen, um weitere Einträge von Kunststoffabfällen in Binnengewässer zu vermeiden?
Drei Aspekte sind zentral und primär nötig, um dem Problem von Kunststoffabfällen bei der Verschmutzung von Gewässern zu begegnen:
- Die EU-Kommission muss über die Ordnungspolitik alle vermeidbaren Mikroplastik-belastungen verhindern, indem sie zum Beispiel Verbote der Verwendung von Plastikpartikeln im Bereich von Kosmetikprodukten, Kunstrasenplätzen oder Landwirtschaft umsetzt.
- Die größten Mikroplastikmengen entstehen durch Reifen- und Asphaltabrieb. Diese Industriezweige müssen bei der Finanzierung technischer Ausstattungen zur Reduzierung von Mikroplastik im Abwasser in Kläranlagen in die Pflicht genommen werden.
- Das Verbot von „Einmalplastik-Produkten“ muss ausgeweitet und schnell und konsequent umgesetzt werden, um Plastikmüll in der Landschaft zu vermeiden.
(Februar 2022)