Interview: „Einträge direkt an der Quelle stoppen“
Dr. Bernhard Bauske ist seit 1993 im World Wide Fund for Nature (WWF) Deutschland aktiv und seit 2017 Projektkoordinator „Meeresmüll“ in der Abteilung Meeresschutz. Schwerpunkte seiner Arbeit sind die Koordination von Projekten zur Reduzierung von Kunststoffabfällen, die Verbesserung von Abfallmanagementsystemen und Verpackungsdesign. Vor seiner Tätigkeit beim WWF hat der Biologe am Institut für Bodenkunde in Hamburg promoviert.
Herr Bauske, der WWF befasst sich im Bereich „Meeresmüll“ mit dem Thema Plastik in der Umwelt. Wo sehen Sie die Ursachen und welche Lösungsansätze verfolgt der WWF?
Die Ursachen des Eintrags von Plastik in die Umwelt sind vielfältig, der wichtigste Grund ist aber der zunehmende Gebrauch von Plastik als kurzlebiges Produkt bzw. Verpackung in Kombination mit einer nicht funktionierenden Abfallwirtschaft in vielen Ländern. Weitere Ursachen sind die weltweite Verbreitung von Mikroplastikpartikeln und seebasierte Einträge, wie z.B. verloren gegangene Fischernetze. Plastik ist nicht oder nur in sehr langen Zeiträumen biologisch abbaubar und akkumuliert sich somit in unserer Umwelt mit den bekannten Folgen, z.B. der Schädigung von Meereslebewesen und Seevögeln durch die Aufnahme von Plastikteilen.
Der WWF arbeitet auf drei Ebenen gegen die Plastikflut. Zunächst will der WWF auf internationaler Ebene ein Abkommen erreichen, welches wirksame Maßnahmen gegen die Verschmutzung der Umwelt mit Plastik ergreift. In der zweiten Ebene müssen nationale Gesetze zur Verbesserung der Abfallwirtschaft in Kraft treten. Von besonderer Bedeutung sind dabei Regelungen zur Erweiterten Produzentenverantwortung, bei der Inverkehrbringer von Produkten und Verpackungen auch Verantwortung für Sammlung, Sortierung und Verwertung der Abfälle übernehmen müssen. Auf der dritten Ebene initiiert und unterstützt der WWF Modellprojekte zur Vermeidung von Einwegverpackungen und zur Verbesserung der Abfallwirtschaft. Hier hat der WWF in einigen Ländern in Südostasien, wie z.B. in Vietnam, erfolgreich Projekte umgesetzt und gestartet.
Der WWF ist mit verschiedenen Projekten in Ländern aktiv, in denen am meisten Plastikmüll in die Meere gelangt und kämpft dort dafür, die Einträge an der Quelle zu stoppen. Ein Modellprojekt in Vietnam im Mekong Delta diente für den Leitfaden der APEC, über den wir weiter oben berichten, als Blaupause für eine Umsetzungshilfe, um mit einfachen Mitteln in kleineren Städten und Gemeinden funktionierende Abfallentsorgungssysteme aufzubauen. Welche Erfahrungen haben Sie dort gemacht?
Vor Beginn des Modellprojektes wurden in der Modellregion Abfälle unzureichend erfasst oder unsortiert eingesammelt. Alle Abfälle wurden dann meist auf nicht gesicherten Müllkippen abgelagert. Daher wurde als Ziel des Modellprojektes definiert, eine getrennte Erfassung einzelner Abfallfraktionen auf Haushaltsebene vorzunehmen und diese Fraktionen separat zu verwerten. Im Mittelpunkt standen dabei die Bioabfälle, die mit anderen Abfällen vermischt wurden und somit für eine Kompostierung ungeeignet waren. Zunächst wurde für die Provinz Long An ein Abfallwirtschaftskonzept erarbeitet, in dem mit den Entscheidungsträgern und Stakeholdern vor Ort nach einer Bestandsaufnahme die technische Umsetzung einer getrennten Abfallerfassung erarbeitet wurde. Dabei wurden ökonomische, soziale und ökologische Gesichtspunkte mitberücksichtigt. Modellhaft wurde die getrennte Abfallerfassung in der Provinzhauptstadt Tan An zunächst bei 400 Haushalten eingeführt und dann auf 4.500 Haushalte ausgeweitet. Dieses wurde durch den WWF mit umfangreichen Schulungs- und Aufklärungsmaßnahmen begleitet. Die Sortierquote im Projektgebiet ist mit 85% sehr gut. Die eingesammelte Menge von recyclingfähigen Materialien war relativ klein, da diese Materialien von den Haushalten direkt an lokale Abfallsammler weitergegeben werden. Plastik wird im Projekt vor allem bei der Nachsortierung des Restmülls separat erfasst. Insgesamt konnte eine hochwertige organische Fraktion zur Kompostierung gewonnen und der Restmüllanteil deutlich reduziert werden. Dies führte auch zu einer Reduzierung der Kosten für die Entsorgung der Restmüllfraktion. Mittlerweile wird die getrennte Abfallerfassung auf das ganze Stadtgebiet von Tan An erweitert und soll auch in der gesamten Provinz Long An umgesetzt werden. In diesem Pilotprojekt hat der WWF im Zeitraum 2018 bis 2022 erfolgreich demonstriert, dass sich eine arbeitsintensive getrennte Sammlung des Siedlungsabfalls mit sofortiger Nachsortierung durch die Angestellten der städtischen Müllabfuhr sehr gut für Privathaushalte und Kleinbetriebe eignet. Dieses Modellprojekt mit seinen Ergebnissen soll auch ein neues Gesetz in Vietnam unterstützen, welches ab 2024 eine getrennte Erfassung aller Abfälle im Land vorsieht.
In welchen Bereichen sind Ihrer Ansicht nach – nicht nur in Asien, sondern auch in Deutschland und Europa – Veränderungen notwendig, um die Einträge von Kunststoffen in die Umwelt grundsätzlich und effektiv zu reduzieren?
Der erste Ansatz ist natürlich, kurzlebige Anwendungen von Kunststoffen zu vermeiden. Das bedeutet zum Beispiel Beschränkungen der Nutzung von Einwegartikeln und die Einführung von Mehrwegsystemen. Bei bestimmten Anwendungen besteht die Möglichkeit, durch ein hochwertiges Recycling Kunststoffe wieder für qualitativ gleichwertige Anwendungen verfügbar zu machen. Leider ist diese Möglichkeit bisher auf wenige Anwendungen beschränkt, da die meisten Kunststoffe eine sehr unterschiedliche Zusammensetzung besitzen und daher schlecht zu recyceln sind. Eine Harmonisierung der Materialvielfalt könnte hier positiv wirken, um noch mehr Kunststoffprodukte für ein hochwertiges Recycling zur Verfügung zu stellen. Ein Downcycling oder eine Abdrift von hochwertigen Recyclingmaterialien in kurzlebige oder nicht mehr recycelbare Anwendungen sollte in der Zukunft unterbleiben.
Grundsätzlich muss dafür gesorgt werden, dass national angepasste Gesetzgebungen zur Erweiterten Produzentenverantwortung global in den Ländern eingeführt werden, in denen dies noch nicht der Fall ist. Außerdem müssen bestehende gesetzliche Rahmenwerke verbessert werden, z.B. durch die Erhebung von Entgelten auf Verpackungen und Produkten entsprechend deren Recyclingfähigkeit oder anderen ökologischen Parametern. Dieses Vorgehen sichert zunächst eine verbesserte Finanzierung der Abfallwirtschaft und Optimierung des Recyclings. Dies wäre ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Abfallmanagementsysteme – und damit auch ein wichtiger Schritt zur Reduzierung des Eintrags von Plastik in die Umwelt.
Vielen Dank für das Interview, Herr Bauske!
(Mai 2023)