Interview: „Die Satellitentechnik hilft bei der Problembeschreibung, aber nicht bei der Problemlösung“
Dr. Jörg Lefèvre ist bei der Deutschen Bundestiftung Umwelt (DBU) mit Umwelt- und gesundheitsfreundliche Verfahren und Produkte befasst, arbeitet in der Regierungskommission der niedersächsischen Landesregierung mit und ist in Vorständen und Beiräten diverser Organisationen vertreten. In diesen verschiedenen Funktionen beschäftigt er sich auch mit der Problematik der Mikroplastik-Emissionen und deren Vermeidung etwa bei der Entwicklung und Gestaltung von Autoreifen oder Textilien. Auch mit dem Thema Datenerfassung über Satellitentechnik hat er sich in diesem Zusammenhang befasst. Vor diesem Hintergrund bitten wir ihn um eine Einschätzung des in diesem Newsletter vorgestellten Verfahrens der University of Michigan, mit dem aus Satelliten-Daten Bewegungen und Konzentrationen von Kunststoffpartikeln im Meer berechnet werden sollen.
Herr Dr. Lefèvre, in unserem Newsletter berichten wir über ein Projekt zur Ermittlung der globalen Verteilung von Mikroplastikpartikeln mit Hilfe von Daten, die über Satelliten erfasst wurden. Sie haben sich ebenfalls mit der Satellitentechnik zur Datenerfassung befasst. Was sind Ihre Erfahrungen mit der Technik? Konnten Sie damit verwertbare Ergebnisse erzielen?
Die DBU arbeitet im Bereich der Geoinformationssysteme – kurz: GIS – selbst intensiv mit Satellitendaten beispielsweise zur Charakterisierung und Kartographierung insbesondere von Naturschutzhabitaten. Im Bereich der Landwirtschaft setzen wir multispektrale Satellitensensordaten ein, zum Beispiel zur Detektion der Bodenfeuchte und Nährstoffsituation in bis zu 90 cm Bodentiefe. Daher war es sehr naheliegend, dass Satelliten mit entsprechender Sensorausstattung geeignet sein würden, zumindest in der Nähe der Wasseroberfläche weiterführende Monitoringdaten zu Marine Litter zu liefern.
Wo sehen Sie die Stärken der Satellitentechnik? Und wo sehen Sie Schwächen?
Die Stärke ist sicherlich im Bereich des Monitorings zu sehen. Die Verbreitung schwimmender Plastikabfälle an der Meeresoberfläche unterliegt komplexen physikalischen Einflussgrößen, je nachdem ob sie wind- und wellengetrieben auf der Oberfläche schwimmen, wie eine leere Getränkeflasche, oder stärker der Meeresströmung folgen, wie eine knapp unter der Oberfläche treibende Plastiktüte. Hier kann die Satellitentechnik nützliche Informationen liefern. Aber sie liefert eher einen Beitrag zur Problembeschreibung als zur Problemlösung.
Schwimmende Flaschen und Tüten sind nur der „offensichtliche“ Teil der Müllemission in die Meere. Einmal mechanisch zerlegt wird dieses Problem ähnlich unsichtbar wie beispielsweise der Reifenabrieb aus dem Straßenverkehr, die Abrasion von Farben und Lacken oder die Faserbruchstücke, die über die Abwasserwege aus unseren Kunstfaser-Textilien emittiert werden. Auch viele der sogenannten biologisch abbaubaren Kunststoffe sind hier der Problemseite, nicht der Problemlösungsseite zuzurechnen. Oft erfolgt ihre Zersetzung nicht bis zurück zu ubiquitär vorkommenden, naturidentischen Bestandteilen.
Wie schätzen Sie die Vorgehensweise und die Ergebnisse der Forschenden der University of Michigan ein? Mit ihrem neu entwickelten Verfahren kartieren sie das Vorkommen von Mikroplastik aufgrund von Daten, die darüber Auskunft geben, wie aufgewühlt die Meeresoberfläche ist. Das Autorenteam geht davon aus, dass Divergenzen zwischen Windgeschwindigkeit und Rauheit der See auf das Vorhandensein von Mikroplastik hindeuten.
Der Charme dieser Methode liegt im Vorhandensein der Satelliten und der Verfügbarkeit der Messdaten. Hieraus kann mit überschaubarem Aufwand viel über die Ausbreitungswege und die mittlere „Reisedauer“ des Kunststoffabfalls gelernt werden. Andere Ansätze fokussieren zum Beispiel auf die direkte spektrale oder optische Erkennung der Abfälle oder messen die Wassertrübung. Das ist dort vielversprechend, wo die Dichte der „Garbage Patches“ geringer ist – und liefert potenziell auch Daten zur Identifikation der Stoffe. Herausfordernd ist diese Aufgabe allemal, denn den riesigen Plastikabfallmengen stehen auch riesige Meeresflächen bei den Wirbeln gegenüber – fünf Kilogramm pro Quadratkilometer gelten beispielsweise als großer Wert im Great Pacific Garbage Patch – das entspräche pro Quadratmeter fünf Milligramm Kunststoffabfall. Die messtechnische Aufgabe hat viel Ähnlichkeit mit der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel in Heuhaufen – dennoch denke ich, das ist lösbar. Aber trägt es auch zur Lösung des Problems bei?
Sehen Sie weiteres Potenzial in der Satelliten-Technik etwa zur Vermeidung von Mikroplastik-Einträgen?
Mir erscheint das satellitenunterstütze Monitoring wichtig, um die Problemdimension und mögliche Folgen besser abschätzen zu können. Substanziell entscheidend ist aber die Vermeidung unkontrollierter Kunststoffabfall-Emissionen. Das beginnt bei der Abscheidung von Kunststofffasern schon in der heimischen Waschmaschine, geht über die Notwendigkeit feinerer Abscheidung im Kontext der vierten Reinigungsstufe in Abwasserbehandlungsanlagen, fordert Reifen-, Farb- und Lackrezepturen mit umweltkompatiblen Abbau-Endprodukten, geeignetere Produkte bzw. Werkstoffe in Regionen mit schwächerer abfalltechnischer Infrastruktur, Maßnahmen an den großen Flüssen – insbesondere denen mit stark schwankenden Wassermengen in dicht besiedelten Regionen.
Eine solche Problembekämpfung in Menge und Schädlichkeit der Emission und – dort wo Vermeidung nicht ausreichend greift – in der Abfallabtrennung dicht an der Emissionsquelle sehe ich als die zentralen Herausforderungen, denen sich unter anderem auch mehrere Förderprojekte der Deutschen Bundesstiftung Umwelt widmen.
In den Meeren angekommen, in denen sich das Problem an der Oberfläche zeigt, sich aber auch in wenig erforschter Weise in durchschnittlich vier Kilometern Wassertiefe am Meeresgrund akkumuliert, verbleibt meinem Verständnis nach kurz- und mittelfristig nur die Schadensbegrenzung – genau hier ist das satellitengestützte Monitoring ein hilfreiches Instrument, die Wirkzusammenhänge zu bemessen.
(August 2022)