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Expertin zu Mikroplastik in Lebensmitteln: „Bislang keine Belege für schädigende Auswirkungen

Über den aktuellen Wissensstand hinsichtlich Mikroplastik in Lebensmitteln sprachen wir mit der Expertin Dr. Sieglinde Stähle. Dr. Stähle ist in der wissenschaftlichen Leitung beim Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft tätig und dort unter anderem zuständig für Lebensmittelhygiene, Lebensmittelkontaktmaterialien und Normung. Darüber hinaus ist die Lebensmitteltechnologin und Diplom-Lebensmittelingenieurin Präsidiumsmitglied der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission und gehört der Kommission für Bedarfsgegenstände des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) an. Frau Dr. Stähle ist im Auftrag des Spitzenverbandes der deutschen Lebensmittelwirtschaft in Gremien des Deutschen Instituts für Normung e. V. und der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie e. V. tätig. Der Lebensmittelverband Deutschland e. V. vertritt als Dach- und Spitzenverband die Interessen der gesamten Lebensmittelkette. Zu seinen Mitgliedern zählen rund 80 Fachverbände sowie 350 Einzelunternehmen der Lebensmittelwirtschaft.
 
Frau Dr. Stähle, Mikroplastik in Lebensmitteln ist ein viel beachtetes Thema und bereitet vielen Menschen Sorgen. Publikationen zu Studien behaupten, dass in flüssigen Lebensmitteln, zum Beispiel in Trinkwasser, solche Mikropartikel nachgewiesen wurden. Wie sind solche Studien aus Ihrer Sicht vor dem Hintergrund der derzeit verfügbaren Probenahme und Analytik zu bewerten?
 

Es gibt in den letzten Jahren international eine Vielzahl von Einzelstudien unterschiedlicher wissenschaftlicher Qualität, die als Hinweise für das Vorkommen von Mikropartikeln in Wasser und Lebensmitteln gelten können. Da die Studien aufgrund der unterschiedlichen methodischen Ansätze und der fehlenden validen Analysenmethoden nicht vergleichbar sind, lassen sie sich auch nicht zu einem Gesamtbild auswerten, wieviel und welche Mikropartikel in Trinkwasser oder bestimmten Lebensmitteln vorkommen. Fakt ist, dass aufgrund des ubiquitären Vorkommens von Mikropartikeln in Luft, Wasser und Erde diese unvermeidbar in unsere Nahrungskette eingetragen werden. Dass Nahrungsmittel frei von Mikroplastik sind, ist daher nicht zu erwarten. Die relevante Frage ist, ob dies und unter welchen Umständen zu Gesundheitsgefahren führt.
 
Wie ist die mögliche Aufnahme von Mikroplastik in den menschlichen Organismus unter toxikologischen Gesichtspunkten zu bewerten?
 
Es ist sicher noch ein sehr langer wissenschaftlicher Weg bis konkrete Risikobewertungen möglich sind. Schon allein das denkbare Größen- und Beschaffenheitsspektrum der Partikel, die man definitorisch als „Mikroplastikpartikel“ subsummiert, ist gigantisch. Doch es gibt wichtige Studien des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) mit wissenschaftlichen Modellen sowie Fütterungsversuchen, die Hinweise auf die gesundheitlichen Risiken durch Aufnahme von Mikropartikel mit der Nahrung geben: Nach dem derzeitigen Stand des Wissens - so das BfR - ist es unwahrscheinlich, dass von Plastikpartikeln in Lebensmitteln gesundheitliche Risiken für den Menschen ausgehen. Die derzeitige Datenlage lässt jedoch keine Risikobewertung der Wirkung von Mikroplastik auf den menschlichen Körper zu; das wird sich sicher ändern. Bislang gibt es keine Belege für schädigende Auswirkungen.
 
Wie beurteilen Sie die Gefahr, dass von in Kunststoffen verwendeten Zusatzstoffen, wie z. B. Additiven, ein Risiko für die menschliche Gesundheit ausgeht, vor allem unter Berücksichtigung der strikten Regelungen innerhalb der EU zu Kunststoffen und Zusatzstoffen im Kontakt mit Lebensmitteln?
 
Es gilt das bereits Ausgeführte; es gibt keine wissenschaftlichen Belege, dass Mikroplastikpartikel bei Aufnahmen mit der Nahrung, oder auch mit Pflegeprodukten und Kosmetik, ein gesundheitliches Risiko darstellen. Auch hier berufen wir uns in der Wirtschaft auf das BfR, das sich mit der Frage der dermalen und oralen Aufnahme von absichtlich verwendetem Mikroplastik befasst hat. Im Ergebnis ist nicht davon auszugehen, dass sich während der Passage durch den Magen-Darm-Trakt gesundheitlich relevante Mengen an chemischen Additiven oder Kontaminanten aus diesen Partikeln freisetzen.
 
Frau Dr. Stähle, vielen Dank für das Interview!

(Oktober 2024)

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