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Christoph Lindner zum Stoffstrombild Kunststoffe in Deutschland 2023

Im November 2024 ist das aktuelle „Stoffstrombild Kunststoffe in Deutschland 2023 - Zahlen und Fakten zum Lebensweg von Kunststoffen“ erschienen. Die Studie, die seit 1994 alle zwei Jahre von der Conversio Market & Strategy GmbH im Auftrag der BKV erstellt wird, liefert Daten und Fakten zu Produktion, Verarbeitung, Verbrauch und Verwertung von Kunststoffen in Deutschland sowie seit einigen Jahren auch zum Einsatz von Rezyklaten und Nebenprodukten. Zusammen mit den BKV-Studien zu Kunststoffen in der Umwelt bildet das Stoffstrombild Kunststoffe eine solide und umfassende Datenbasis für eine faktenbasierte Diskussion über den Lebensweg von Kunststoffen.
 
Christoph Lindner ist geschäftsführender Gesellschafter der Conversio Market & Strategy GmbH und seit über 25 Jahren als Unternehmensberater tätig. Als Experte für Kunststoffe, Umwelt & Kreislaufwirtschaft begleitet er seit nunmehr 30 Jahren die Erstellung des Stoffstrombildes für Kunststoffe in Deutschland. Seine Expertise im Bereich des Lebenswegs von Kunststoffen hat er bis heute international aufgebaut und berät daher auch im europäischen und globalen Kontext.
 
Herr Lindner, was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Ergebnisse des aktuellen Stoffstrombilds für Kunststoffe in Deutschland? Wie ordnen Sie diese im europäischen Kontext ein?
 

Die Kunststoffproduktion, basierend auf fossilen Rohstoffen, ging im Vergleich zu 2021 um 17,6 Prozent zurück. Obwohl die Nachfrage nach Kunststoffen global wächst, wurden in Deutschland 2023 rund 8,5 Prozent weniger Kunststoffe verarbeitet als 2021.
 
Der Einsatz von recycelten Kunststoffen in der Kunststoffverarbeitung in Deutschland hat sich in 2023 gegenüber 2021 um 17 Prozent erhöht. Der Rezyklateinsatz aus Post-Consumer- und Post-Industrial-Abfällen betrug dabei rund 1,93 Mio. t. Insgesamt betrug der Anteil von eingesetztem Kunststoffrezyklat (aus Post-Consumer- und Post-Industrial-Abfällen) an der Verarbeitungsmenge in Deutschland 2023 ca. 15 Prozent. Das unterstreicht die wachsende Bedeutung der Kreislaufwirtschaft für die Kunststoffindustrie in Deutschland und zeigt Fortschritte im Recycling und der Verwertung von Kunststoffen. Gleichzeitig mussten wir feststellen, dass die Steigerung primär auf das Jahr 2022 zurückging, in 2023 und auch 2024 sehen wir eher eine Stagnation, in manchen Bereichen teils auch bereits sichtbare Rückgänge.
 
Dennoch bleiben weiterhin große Potenziale für das Recycling ungenutzt: So ist der Anteil der Kunststoffe, die energetisch verwertet werden, mit 3,6 Millionen Tonnen im Jahr 2023 immer noch zu hoch. Rund 2,2 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle in gemischten Abfallströmen wie Haushaltsrestmüll oder gemischter Gewerbeabfall gelangen in der Regel unbehandelt direkt in die energetische Verwertung.
 
Im europäischen Kontext ist insbesondere auf die starken Rückgänge im Bereich der Kunststoffproduktion und der Kunststoffverarbeitung hinzuweisen. Stark gestiegene Kosten für Energie und Produktion sind hier maßgeblich verantwortlich.
 
Vor 30 Jahren, 1994, erschien das erste Stoffstrombild Kunststoffe. Welche Meilensteine gab es in diesem Zeitraum? Was lässt sich aus den Daten und Fakten zum Werkstoff und über dessen Entwicklung bis heute ablesen?
 
Das erste Stoffstrombild in 1994 war noch eine Kunststoffrecyclingstudie.
 
Seit 1997 ist es ein „wirkliches“ Stoffstrombild von der Produktion, über die Verarbeitung, den Verbrauch, den Abfallanfall und dessen Behandlung. Seit 2017 analysieren wir den kompletten Kunststoffkreislauf, das heißt. auch den Einsatz von Post-Consumer und Post-Industrial Rezyklaten in der Kunststoffverarbeitung.
 
Auffallend sind 3 Aspekte.
 
Zum einen das Deponieverbot seit Juni 2005. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden noch bis zu 1,7 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle deponiert. Zu beachten ist auch die Zunahme von Kunststoffabfällen, insbesondere im Post-Consumer-Bereich. Hier verdreifachte sich das Aufkommen annähernd von 1,9 Millionen Tonnen in 1994 bis auf rund 5,6 Millionen Tonnen in 2023. Bei Zugrundelegung des gleichen Messpunktes erhöhte sich die Recyclingmenge von 900.000 Tonnen in 1994 auf rund 2,25 Millionen Tonnen im Zeitraum in 2023.
Eine bleibende Konstante sind die Herkunftsbereiche der Rezyklate. Hier werden fast über den gesamten Erhebungszeitraum mehr als 80 Prozent aus Verpackungsabfällen gewonnen. Dies zeigt den großen Nachholbedarf in vielen Anwendungen, wie z. B. Bau, Elektro, Automobil.
 
Wohin wird die Reise der Kunststoffindustrie in Deutschland Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren gehen? Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Aufgaben, um die Kreislaufwirtschaft für den Werkstoff weiter voranzubringen, auch mit Blick auf Busan in Korea, wo sich die Weltgemeinschaft gerade getroffen hat, um über ein globales Plastikabkommen zu beraten?
 
Die stärksten Treiber in Deutschland und Europa sind die Regularien der PPWR (Plastic Packaging Waste Regulation), die ELVR (End-of-Life Vehicles regulation) und zu erwartende weitere Verordnungen, beispielsweise für den Elektrobereich oder im Bereich der Bauprodukte.
 
Ergänzt durch weitere freiwillige Selbstverpflichtungen oder der allgemeinen Marktnachfrage, wie im Baubereich, ergibt sich in Deutschland für 2030 ein Bedarf von rund 3 Millionen Tonnen Post-Consumer-Kunststoffrezyklate. Dieser Bedarf wird allerdings voraussichtlich vom Angebot nicht gedeckt werden können. So gehen wir aktuell von einer Lücke zwischen ca. 350.000 und 850.000 Tonnen aus.
 
Die in Busan diskutierten Forderungen haben einen anderen Aspekt primär im Fokus. Dort geht es sehr stark um das Thema Reduzierung des Eintrags von Kunststoffen in die Umwelt. Dabei werden zwei Lösungen diskutiert: Reduzierung des Kunststoffeintrags durch Verringerung der Produktionsmenge oder signifikante Verbesserung der Abfallwirtschaft in den betroffenen Ländern. Diese Thematik spielt in Deutschland oder anderen EU-Ländern nur eine untergeordnete Rolle.
 
Die Frage ist also, wie „schaffen“ wir eine deutlich verbesserte Zirkularität des Kunststoffes.
 
Neben verbesserten Technologien und Prozessen, muss hier insbesondere der hohe Anteil nicht-behandelter Kunststoffabfälle in den Fokus genommen werden. Noch zu viele Kunststoffabfälle landen heute direkt in Müllverbrennungsanlagen oder sonstigen energetischen Verwertungsanlagen.

 
Herr Lindner, vielen Dank für das Interview!

(Dezember 2024)

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